Addicted – wenn die Sucht Oberhand gewinnt
Drogen-, Sex-, Spiel-, Nikotin-, Kaffee-, Mager-, Sportsucht. Die Liste ist endlos. Am weitesten verbreitet ist jedoch die Alkoholsucht. Schätzungen der Institution «Suchtmonitoring» gehen davon aus, dass rund 250’000 Menschen in der Schweiz alkoholabhängig sind. Einer von ihnen ist Eneas. Und das ist seine Geschichte.
Alkoholismus ist die am weitesten verbreitete Suchterkrankung in der Schweiz. (Bild: pixabay/ lechenie-narkomanii)
von Erminio D’Alberto, Basisjahr, Juli 2021
Der heute 63-jährige Schweizer trinkt seit dem 17. Lebensjahr und lebt bis heute mit seiner Sucht. Eneas* wuchs in der Stadt Zürich bei seinen Eltern mit vier Geschwistern auf. Als er 14 Jahre alt war, verstarb sein Vater an einem Herzinfarkt. Eneas hatte ihn sehr geachtet. Er war Pilot und anschliessend Fluglehrer gewesen, sein Sohn schlug einen ähnlichen Weg ein. Doch vor seinem Werdegang als Pilot entschied Eneas sich, eine Lehre als Polymechaniker in der Maag zu absolvieren.
Mit 17 Jahren jasste Eneas regelmässig mit seinen Freunden. Dort nahm das Trinken seinen Lauf. «Das Bier war dazumal günstiger als eine Cola. Anfangs teilten wir uns ein Bier zu zweit», sagt er mit bestimmter, aber etwas verlegener Stimme. Im nächsten Satz erwähnt er, dass mit der Zeit jeder seine eigene Flasche gehabt habe.
Partys in Südamerika
Nach der Lehre begann Eneas eine Karrierre im Militär als Fliegerübermittler. Er war sehr gut, weswegen man ihm anbot, Berufsoffizier zu werden. «Viele meiner Freunde stürzten dazumal ab und verloren sehr jung ihr Leben», fügt er bekümmert hinzu. Eneas schaffte es aber zum Milizpiloten. Im Winter durfte er immer wieder nach Südamerika fliegen, wo er sich amüsierte und Alkohol zur Tagesordnung gehörte.
Als junger, ungebundener Pilot wusste Eneas zu feiern. Ob bei Partys in Südamerika oder in der Schweiz mit Freunden, Alkohol durfte niemals fehlen. «Die Frauen waren überall», sagte er mir mit einem Augenzwinkern. In der Zwischenzeit stieg sein Alkoholkonsum rasant, so dass er vom Militär eines Tages nach Hause geschickt wurde, weil seine Leberwerte zu hoch waren. Er durfte einen Monat nicht trinken. Um dies durchzustehen, reiste er nach Marokko, wo Alkohol verboten ist. Das war das erste und letzte Mal, dass er eine Pause machte mit seinem Alkoholkonsum. Nach einem Monat durfte er wieder fliegen – und trinken.
Die Familie zerbricht
Nach seiner Auszeit in Marokko flog Eneas nach Frankreich, wo er eine Kellnerin kennenlernte, seine spätere Frau Chloé. Es war Liebe auf den ersten Blick, weswegen er sich entschied, nach Frankreich zu ziehen. Eneas und Chloé heirateten nach kurzer Zeit und waren sieben Jahren glücklich verheiratet. Zu Beginn machte es Chloé nichts aus, dass er täglich trank. Mit der Zeit begannen die Probleme: Eneas machte Schulden und es gab Streit. Im Jahre 1991 kam der gemeinsame Sohn zur Welt. Kurze Zeit später liessen sie sich scheiden, und Eneas kehrte allein in die Schweiz zurück. Den Ehering trägt er heute noch. Darauf angesprochen, antwortet er mit einem verlegenen Lächeln: «Naja, zum einen erinnere ich mich gerne an diese Zeiten und zum anderen möchte ich nicht von Frauen überrannt werden.»
Zurück in der Schweiz musste er ganz von vorne beginnen und als Tellerwäscher arbeiten. Der Alkohol war noch immer ein täglicher Begleiter. Ein guter Freund vermittelte ihm einen Maler-Job. Nach einem Bier mit seinem Chef wurde er sofort angestellt. Er trank während dieser Zeit mehr als zuvor. Sein Alkoholkonsum nahm so sehr zu, dass man ihn nach fünf Jahren in eine Klinik einliefern musste.
Das historische Schloss ist das Wahrzeichen der thurgauischen Gemeinde Herdern. Seit 1995 beherbergt es ein Heim für Personen mit psychischen und sozialen Problemen. (Bild: flickr/donald.kaden)
Lebenslange Sucht
Seit 2013 lebt Eneas auf Schloss Herdern, einer Wohn-, Arbeits- und Beschäftigungsstätte für 80 Männer und Frauen, die aus sozialpsychiatrischen Gründen auf einen geschützten Rahmen zur Lebensführung angewiesen sind. Die Klinik nimmt vor allem Menschen mit einer psychischen Behinderung, die oft mit Alkoholabhängigkeit verbunden ist, auf und ist nicht abstinenzorientiert. Eneas begann dort in der Küche zu arbeiten und war für eine kurze Zeit abstinent. Es dauerte jedoch nicht lange, bis er wieder zu trinken anfing.
Seine Sucht wird sein lebenslanger Begleiter sein. Dennoch macht er einen zufriedenen Eindruck. Eneas hat in seinem Leben vieles verloren. Was ihm bleibt, ist sein Sohn, mit dem er trotz allem einen guten Kontakt pflegt. Auf die Frage, welche Pläne er in seinem Leben noch habe, antwortet er: «Die Zeit mit meinem Sohn geniessen.»
* Alle erwähnten Personen sind anonymisiert.