Dank CRISPR-Cas9 sind Gentechnologen in der Lage, präzise in das Erbgut biologischer Organismen einzugreifen. Die «Genschere» vereinfacht, vergünstigt und beschleunigt die Gentechnik. Die möglichen Folgen sind so vielversprechend wie weitreichend und mitunter kaum vorhersehbar. In Interview erläutert Sebastian Wäscher, promovierter Philosoph der Universität Zürich am Institute of Biomedical Ethics and History of Medicine, seine ethischen Überlegungen zur neuen Technologie.

 

von Daria Gerosa, Teilzeit-KME, März 2021

Gerade haben die beiden Entwicklerinnen von CRISPR-Cas9, Emmanuelle Charpentier und Jennifer Doudna den Nobelpreis gewonnen. Die von ihnen entworfene Genschere wird die Behandlung von Krankheiten wie Muskeldystrophie, Sichelzellanämie und vielleicht sogar Krebs entscheidend erleichtern, sowie die Grundlagenforschung vorantreiben. Sie birgt aber auch Risiken. Welche ethischen Überlegungen gibt es dazu?

Man muss darüber nachdenken, wie und wo die Technologie eingesetzt werden soll und wo es juristische Regelungen braucht. Bezüglich CRISPR herrscht bei Forschern vor allem darüber Einigkeit, dass Eingriffe in die Keimbahn, also in Zellen, deren Information an Nachkommen weitergegeben wird, noch zu unsicher und ethisch nicht vertretbar sind. Die Frage nach der Sicherheit ist bei neuen Technologien natürlich zentral. Aber auch der Verwendungszweck spielt eine Rolle. Beispielsweise wird die Behandlung einer Krankheit anders bewertet, als ein rein prophylaktischer Eingriff oder gar Enhancement, das heisst, das Verbessern menschlicher Eigenschaften wie Körperbau oder Intelligenz. Weitere bedeutende Fragen betreffen die Auswirkungen von Gentechnologie auf unsere Gesellschaft.

Die Nobelpreisträgerinnen Emmanuelle Charpentier and Jennifer Doudna (Bild: Bianca Fioretti / The Royal Society)

Worum geht es da?

Es wäre denkbar, dass manche Menschen vom Gebrauch ausgeschlossen werden, weil sie nicht dazu in der Lage sind, sich Eingriffe am Erbgut zu leisten. Dadurch würden bestehende Machtgefälle verstärkt. Um das möglichst zu verhindern, braucht es politische Regulierungen und einen lebendigen Diskurs in der Gesellschaft. Wir sollten gemeinsam entscheiden, was wir von einer Technologie wollen und was nicht. Beim Enhancement etwa kommt unserem Menschenbild eine wesentliche Bedeutung zu. Deswegen müssen wir uns fragen, wozu wir uns eigentlich verbessern möchten und was aus ethischer Perspektive wünschenswert wäre. Wollen wir nicht vielleicht soziale Ungleichheiten beseitigen und einen wertschätzenden, empathischen Umgang kultivieren, bevor wir damit beginnen, uns genetisch zu optimieren? Letztlich könnten wir vielfältige gesellschaftliche Entwicklungen lostreten, woraus natürlich Unsicherheiten entstehen. Diese gilt es teilweise auszuhalten, denn es gibt keine absoluten Antworten darauf, welche Szenarien sich als realistisch erweisen werden und welche nicht. Allerdings haben wir die Möglichkeit, als Gesellschaft darüber zu beratschlagen, wohin wir wollen.

Die „Genschere“ soll präzise Eingriffe ins Erbgut ermöglichen. (Bild: Johan Jarnestad/The Royal Swedish Academy of Sciences)

In den USA gibt es Firmen, die Biotech-Kits für zu Hause verschicken, mit denen man lebende Organismen gentechnisch manipulieren kann. Ein Gedanke dahinter ist, dass alle Bürger Zugang zu CRISPR-Cas9 haben sollten, damit weniger Ungleichheit entsteht.

In Bezug auf Demokratie und Gleichheit finde ich den Gedanken gut. Aber die Biohacking-Bewegung sehe ich sehr kritisch. Laien fehlt häufig das Wissen, um weitreichende Zusammenhänge in der Biologie zu erkennen, weswegen sie nur unzureichend abschätzen können, wo beim Hantieren mit CRISPR Gefahren lauern. Beispielsweise könnte ein modifiziertes Bakterium in die Umwelt gelangen und anderen Organismen erheblichen Schaden zufügen, wodurch das ökologische Gleichgewicht aus den Fugen geraten könnte.

Wie kann ein sicherer, verantwortungsbewusster Umgang mit der Genschere gewährleistet werden?

Es benötigt kleine Schritte in der Anwendung, damit die Auswirkungen nicht zu rasch zu umfangreich werden. Denn die Konsequenzen neuer Technologien sind nur schwer vorhersehbar. Weil wir in einer globalisierten Welt leben, in der unterschiedliche ethische Vorstellungen herrschen, werden nicht immer mühelos Einigungen darüber gefunden, wie die nächsten Etappen aussehen sollen. Zusätzlich besteht die Gefahr, dass sich wiederholt vereinzelte Forschergruppen gegen international getroffene Vereinbarungen stellen. Jedoch finden solche Gruppen in der Wissenschaftscommunity wenig Rückhalt und ein Wissenschaftler, der eine rote Linie überschritten hat, wird kaum mehr Forschungsgelder erhalten. Obschon es derzeit als ethisch nicht vertretbar gilt, hat der chinesische Forscher He Jankui bereits Keimbahngriffe an Zwillingen vorgenommen und dabei deren Erbgut verändert. Infolgedessen kam es zu heftigen Reaktionen unter Forschern und He Jankui wurde entlassen, sowie zu einer Gefängnisstrafe verurteilt. Sofern der Einsatz einer Technologie nicht vertreten werden kann, ist es unabdingbar, dass gesetzliche Massnahmen ergriffen werden.

Wäre es unethisch, CRISPR gar nicht erst einzusetzen?

Wenn eine Technologie existiert, mit der man Krankheiten behandeln kann, dann ist man auch dafür verantwortlich, sich eingehend Gedanken über den möglichen Nutzen und die Risiken zu machen. Solange die potentiellen Gefahren einer Technologie nicht zu antizipieren sind, sollte sie nur mit äusserster Vorsicht genutzt werden. Allerdings sollten aus ethischer Perspektive alle Potenziale der Technologie weiterhin erforscht werden. Das zentrale Problem bei CRISPR ist die Tragweite und die dadurch resultierenden weitreichenden Konsequenzen.

Gentechnologie könnte dazu beitragen, Hungersnöte zu verhindern. Während in den USA der überwiegende Anteil an Mais, Baumwolle und Soja genetisch modifiziert ist, ist das in der Schweiz verboten. Woher kommt die kritische Haltung gegenüber der Gentechnik?

Das ist eine schwer zu beantwortende Frage. Es gibt offensichtlich nach wie vor Sorgen und Vorbehalte in Bezug auf genveränderte Nahrungsmittel innerhalb der Schweizer Gesellschaft. Ausserdem können wir es uns eher leisten, darauf zu verzichten. Anders sieht es in ärmeren Regionen der Welt aus. Hier besteht ein grosses Potenzial genmodifizierte Nahrungsmittel zu nutzen, um beispielsweise die Agrarproduktion wirksam zu verbessern. Dazu ist eine barrierefreie zur Verfügungstellung der Technologie massgebend.