Dank technischem Fortschritt herrscht die Spezies Mensch über den Planeten. Deshalb trägt der Mensch nicht nur die Verantwortung für sich selbst, sondern für das gesamte Ökosystem Erde. Der Umgang mit neuen Technologien ist entscheidend für ihren langfristigen Erfolg, das gilt insbesondere für die Nanotechnologie.

Der Unterschied zwischen einer Orange und einem Nanopartikel entspricht dem Grössenunterschied zwischen der Erde und der Orange

 

von Fridolin Staub, Passerelle, Feb. 2019

Die Entwicklung neuer Technologien steht im Zentrum der menschlichen Existenz, seit unsere Vorfahren gelernt haben, Werkzeuge und das Feuer für ihre Zwecke zu nutzen. Je nach gesellschaftlichen und religiösen Vorstellungen wurde ein neuer technologischer Durchbruch verteufelt oder zum Allerweltsmittel verklärt. Neues schafft Ängste, und manchmal scheint eine gewisse Skepsis durchaus angebracht. Man erinnere sich an technologische Durchbrüche aus der Vergangenheit:

Fluorkohlenwasserstoffe, kurz FCKW, wurden während Jahrzehnten als Treibmittel in Spraydosen und als Kältemittel in Kühlschränken verwendet. Die FCKW reagieren in der Stratosphäre mit der Ozonschicht und bauen diese ab. Zusätzlich haben gewisse FCKW ein 10000-fach höheres Treibhauspotential als CO2.

Der Erfinder dieses Gases, Thomas Midgley, hat übrigens ausserdem den Bleizusatz für Benzin entwickelt und somit nicht nur für das Ozonloch, sondern auch für stark erhöhte Bleikonzentrationen in der Umwelt gesorgt. Der Umwelthistoriker John Robert McNeill vermutet, dass Midgley „mehr Auswirkung auf die Atmosphäre hatte als jeder andere Organismus in der Erdgeschichte“.

Radithor, ein Wasserpräparat, das radioaktives Radium enthielt, wurde nach dem Ersten Weltkrieg als Allerweltsmittel beworben und führte bei den Patienten zu hohen Strahlenbelastungen. Der US-amerikanische Sportler Eben Byers nahm auf Empfehlung seines Arztes über 1400 Fläschchen Radithor ein. Er erkrankte 1932 an Krebs, verlor alle Zähne und starb kurz darauf. Erst aufgrund dieses Vorfalls nahm man das Medikament vom Markt. Insgesamt waren bis zu diesem Zeitpunkt über 40’0000 Fläschchen verkauft worden, zusätzlich wurde ein Konzentrat vertrieben, mit dem man Radithor selbst herstellen konnte.

Asbest wurde als Isolationsmittel in weiten Teilen der Industrie und im Häuserbau verwendet, fand aber auch bei der Herstellung von Schiffen und Autos Verwendung. Die feinen Asbestfasern gelangen bei Verarbeitung ohne entsprechende Schutzmassnahmen in die Lungen, setzen sich dort fest und erhöhen das Krebsrisiko markant. Britt Erickson von der American Chemical Society schätzt, dass es über 100’000 Todesfälle pro Jahr gibt, ausgelöst durch Asbest.

Technische Errungenschaften in der Vergangenheit haben unser Leben insgesamt verbessert, doch wir haben einige Ausrutscher zu beklagen, wie die genannten Beispiele zeigen. Zurzeit ihrer Entwicklung bahnbrechend und schnell flächendeckend eingesetzt, waren sie in ihren Folgen für Mensch und Umwelt unberechenbar. Nun stehen wir mit der Nanotechnologie am Anfang einer neuen Technologie, die das Potenzial hat, unser Leben zum Besseren zu verändern.

Klein, aber oho

Nanotechnologie ist ein Sammelbegriff für Partikel mit einer Grösse von Einzelatomen bis zu 100 Nanometern. Ein Nanometer entspricht einem Millionstel Millimeter, das ist unvorstellbar klein. Zum Vergleich: Ein menschliches Haar hat einen Durchmesser von 0.05-0.08 mm, das sind fünf bis achttausend Nanometer. In dieser Dimension beginnen Stoffe sich anders zu verhalten, weil die Oberfläche im Verhältnis zum Volumen grösser wird. Da Reaktionen an der Oberfläche eines Materials stattfinden, steigt die Wirkung des gleichen Volumens mit sinkender Partikelgrösse.

Diese Eigenschaften von Nanoteilchen eröffnen viele Möglichkeiten; nachfolgend ein kleiner Auszug:

Prozessoren: In der Computertechnologie führt Miniaturisierung zu gesteigerter Leistung und Effizienz. Es gilt die Faustregel, dass alle zwei Jahre Prozessoren entwickelt werden, deren Grösse halbiert wird. Die neueste Prozessorfamilie von Intel erreicht bereits eine Breite von 42 Nanometern, also etwa 1/250 des Durchmessers eines Haares.

Sonnencreme: Titandioxid in Sonnencremes absorbiert die UV-Strahlung und ist als Nanopartikel transparent. Die Studien sind sich jedoch uneinig darüber, ob diese Partikel vom Körper angereichert oder problemlos ausgeschieden werden.

Sonnenkollektoren: Nanokristalle in Sonnenkollektoren, die viel effizienter wären als die heutigen, könnten die Energiequellenproblematik von Atom- und Kohlestrom beenden. Das Licht, das auf Kollektoren strahlt, träfe auf viel mehr Oberfläche und könnte mehr Elektrizität produzieren.

Trinkwasser: Nanopartikel, die Giftstoffe aus dem Wasser filtern, könnten die Trinkwasserversorgung sicherstellen. Dabei wird eine spezielle Form von Eisenrost, das Magnetid, mit kleiner Partikelgrösse als Filter benutzt, um zum Beispiel DNA-schädigendes Arsen zu binden.

Ein ganahischer Junge trinkt durch ein Filterrohr Wasser. Bild: Public Health Image Library.

 

Medikamente: In der Pharmaindustrie gibt es erste Versuche, medizinische Wirkstoffe in winzige Kapseln einzubetten. Die Kapseln können im Körper an einer bestimmten Stelle ihren Wirkstoff freisetzten: Höhere Effektivität des Medikaments und geringere Nebenwirkungen sind die Folgen. Dadurch könnten Krankheiten viel gezielter behandelt und schneller geheilt werden.

Es braucht Langzeitstudien

Doch die Risiken der Nanotechnologie für Mensch und Umwelt sind bislang ungeklärt. Studien gibt es wenige, insbesondere keine Langzeitstudien. In der Forschung ist man sich zum Beispiel uneinig, ob Titandioxid, falls es sich im Körper anreichert, eine toxische Wirkung hat.

Die erhöhte Reaktivität und die Winzigkeit der Partikel bewirken, dass sich diese Teilchen ungehindert in der Umwelt ausbreiten können, damit bergen sie eine grosse Gefahr. Beispielsweise wirkt Silber antibakteriell und wird bereits heute als Nanoteilchen verwendet, um Oberflächen wie zum Beispiel T-Shirts zu beschichten. Silberbeschichtete Shirts riechen nie nach Schweiss, da die Bakterien, die diesen Geruch erzeugen, abgetötet werden. Das Silber wird jedoch durch mechanische Beanspruchung abgetragen und gelangt dann via Abwasser in die Natur. Welche Auswirkungen diese immer noch bakteriziden Silberpartikel dort haben, wird noch erforscht.

Die schwer eindämmbare Verbreitung dieser Nanoteilchen verlangt die Erforschung von deren Wirkung in natürlichem Umfeld. Da es nicht empfehlenswert ist, dies in der Natur zu tun, sollten Ökosysteme in möglichst gut abgeschirmten Laboratorien simuliert werden. Universitäten weltweit haben damit begonnen und können so hoffentlich wichtige Erkenntnisse gewinnen. Diese Art der Forschung ist aufwändig, dafür umso notwendiger, möchten wir Folgen, wie sie in den einleitenden Beispielen beschrieben sind, vermeiden.

Wir Menschen müssen unsere Verantwortung gegenüber der Erde und unseren Nachfahren wahrnehmen. Dies bedingt, dass wir keine Kosten und Mühen scheuen, um auszuschliessen, dass der Einsatz eines neuentwickelten Stoffes negative Auswirkungen auf uns und unsere Umwelt hat. Negative Folgen müssen frühzeitig erkannt werden. Nur dann können wir als Spezies, aber auch die Erde davon profitieren. Treffen wir die nötigen Vorkehrungen, steuern wir einer positiven Zukunft entgegen und dürfen uns auf erfolgversprechende Neuerungen freuen.