KME-Theater 2024
«Hilf mir mal, ich hab mich in der Leistungsspirale verheddert» – ein abstrakter Titel, der erst einmal nicht viel verrät. In verschiedenen Szenen zeigt das diesjährige Ensemble, wo in unserem Alltag überall Leistungsspiralen versteckt sind.
Das Saallicht geht aus und es erklingt laute Rockmusik aus den 80er-Jahren. Die Scheinwerfer beleuchten die erste Szene: Ein Schulzimmer in einer Prüfungssituation. Wir sehen die Szene zweimal; beim ersten mal aus der Perspektive einer Schülerin deren neurologische Grundausstattung perfekt auf das hiesige Schulsystem zugeschnitten ist. In der zweiten Version der Szene sehen wir eine Schülerin, die sich sichtlich schwertut – ihr läuft die bekannte Melodie von Edward Griegs «King of the mountain hall» nach, einmal in einer lässigen Jazz Variante von Duke Ellington, einmal in einer groovige Cha-Cha-Cha-Interpretation und zum Schluss dröhnen die lauten Paukenwirbeln der klassischen Version des Stücks. Die Lehrerin rügt die schlechte Leistung und zeigt kein Verständnis für das Lied im Ohr der Schülerin: «Dies ist eine öffentliche Schule; hier haben alle die genau gleichen Chancen». Ein betretenes Schmunzeln raunt durchs Publikum.
Szenenwechsel auf eine belebte Strasse: Es kommt Fahrt auf; das kleine Ensemble überrascht und belebt und mit immer wieder neuen Figuren und Kostümen die Szenerie. Im Mittelpunkt steht ein Promotionsstand der Organisation Care About Sustainable Habitats, kurz: CASH. Wer kennt sie nicht – die Dialoger-Teams, die in Corporate Identity gekleidet mit ihren Ständen die Schweizer Strassen unsicher machen. Die Passant*innen entwickeln äusserst kreative Fluchtstrategien um nicht überredet zu werden, ihr schlechtes Gewissen per monatlicher Spende reinzuwaschen. Zum Beispiel, indem sie sich an einem regnerischen Tag wortwörtlich abschirmen. In einer anderen Szene macht die Dialogerin einer Passantin ein Kompliment und kommt danach kaum mehr aus der selbst gelegten Flirt-Falle raus. Eine Optikerin lenkt das Spendengespräch immer wieder geschickt auf ihr eigenes Geschäft und versucht der CASH-Mitarbeiterin nachhaltig produzierte Brillenmodelle unterzujubeln.
Kurz darauf bildet sich mitten auf der Strasse eine spontane Klimademo – vom undurchsichtigen Spendengeschäft mitten in den Aktivismus. Sogar die Dialogerin demonstriert mit – und das Publikum! Aber CASH schlägt zurück und hypnotisiert alle mit einem Werbespot. Ist es nicht doch attraktiver, beim Weltverbessern noch gutes Geld zu machen? Und dann sind wir mitten drin, in der Leistungsspirale, ohnmächtig zwischen SocialMedia und Geldsorgen. Nach einem Schwindelanfall wird dann plötzlich Bühnendeutsch gesprochen und wir befinden uns in einem anspruchsvollen Gespräch über die Komplexität einer westlichen Welt, die vieles erreicht hat und sich je länger je mehr mit der Frage konfrontiert sieht, wer für diesen «Fortschritt» bezahlen musste und wer dafür Verantwortung übernehmen sollte. Und dann werden Tränen gelacht, die Anspannung fällt ab und es beginnt zu regnen. Ein Text übers Erwachsenwerden (geschrieben von Sel Wanninger) rundet ab und lässt das Publikum in gelöster und zugleich nachdenklicher Stimmung auf den Stühlen verharren.