Lesung Arno Camenisch: «Der Schatten über dem Dorf»

Über Sprachlosigkeit sprechen

Arno Camenisch (*1978), Schweizer Schriftsteller aus Tavanasa in Graubünden, nahm das Publikum an der KME am 16. Juni im Rahmen einer SLZ-Lesung mit auf eine Reise in die Heimat des Autors und damit auch des Protagonisten, der, im Buch zwar namenlos, unverkennbar Züge des Autors trägt und mit diesem, gemäss Angaben Camenischs, gleichgesetzt werden dürfe.Erzählt wird die Geschichte eines Bündner Dorfes, Tavanasa, das von einer Tragödie überschattet wird. Diese ereignete sich eineinhalb Jahre vor der Geburt des Erzählers.Camenisch machte in seiner Lesung gleich zu Beginn deutlich, dass der Titel doppeldeutig zu verstehen sei. Zum einen liegt das Dorf tatsächlich während rund drei Monaten im Schatten und zum anderen bezieht sich der „Schatten“ auf die erwähnte Tragödie, als im Spätsommer 1976, als das Dorf gerade nicht im Schatten lag, drei Knaben im Alter von 9, 10 und 11 beim Spielen in einer mehrstöckigen Baumhütte im Feuer ums Leben kamen.

Arno Camenisch in seinem Element

„Der Schatten über dem Dorf“ ist für die Passerellenstudierenden des aktuellen Jahrganges Prüfungslektüre. Neben Vorlesungen der Deutschlehrpersonen beschäftigten sich die Studierenden selbst in unterschiedlichen Lehr- und Lernformen mit dem Buch und hatten zudem die Gelegenheit, im Vorfeld dem Autor Fragen zu senden, die dieser versucht hat, in die Lesung einzubauen. So war denn eine dieser Frage bspw., weshalb Camenisch für die Erzählung nicht die Ich-Form gewählt habe, wenn doch der Erzähler der Autor selbst sei. Arno Camenisch erklärte dies mit der nötigen Distanz, um etwas derart Schreckliches und Persönliches überhaupt in Worte fassen zu können. Es sei ein Buch, dass er über zehn Jahre hinweg schreiben wollte, aber nicht konnte, da hierfür die nötige Reife gefehlt habe.

Für das, was geschehen war, gab es keine Worte und erst mit der Zeit fand der Autor selbst einen Weg, das Geschehen in Worte zu fassen. Und doch, so der Erzähler im Buch, „musste diese Geschichte erzählt werden, um ihnen [den Kindern] eine Stimme zu geben“ (S. 11). Zum Schluss der Lesung beehrte der Autor das Publikum noch mit einem Spoken-Word-Text, der dann doch noch eine gewisse Leichtigkeit zurückbrachte und die Zuhörerschaft mit einem verschmitzten Lächeln und dem berühmten „Camenisch-Sound“ im Ohr in den Nachmittag entliess.