Lesung Thomas Meyer: «Wir sind alle Antisemiten»
Seit der erneuten Eskalation im Nahostkonflikt nimmt der Antisemitismus wieder zu – auch bei uns. Der jüdische Autor Thomas Meyer erzählte an der KME von seinen eigenen Erfahrungen mit Antisemitismus und wie er damit umgeht.

Berühmt geworden ist der Schriftsteller Thomas Meyer 2012 mit seinem Roman über einen orthodoxen Juden Mordechai Wolkenbruch. Das Buch ist ein Bestseller geworden, die Verfilmung war die erste Schweizer Produktion, die weltweit auf Netflix lief. Dass das Judentum in Meyers Schaffen eine derart wichtige Rolle spielt, ist indes nicht selbstverständlich. Thomas Meyers Mutter ist zwar Jüdin, er selber hat mit der Religion aber nichts am Hut, wie er an einer der vom Schreib- und Lesezentrum organisierten Veranstaltung erklärte. Dass seine jüdische Herkunft trotzdem einen so grossen Stellenwert in seinem Schaffen und seinem Leben hat, führt Meyer auf den Antisemitismus zurück, den er seit seiner Jugend erlebt.

Unter dem Titel «Was soll an meiner Nase bitte jüdisch sein?» veröffentlichte Meyer vor drei Jahren seine Erfahrungen mit Antisemitismus in der Schweiz. Auf die Frage, wieso er sich nun damit an die Öffentlichkeit wandte, antwortet er: «Über all die Jahre hat sich durch die ständigen dummen Sprüche sehr viel Wut angestaut. Das ist keine gute Grundlage für ein Buch. Ich musste warten, bis ich eine versöhnliche Position finden konnte.»
In seinem Buch analysiert und schildert Meyer eindrücklich und pointiert die Funktionsweisen des Antisemitismus anhand eigener Erlebnisse: Viele Beispiele drehen sich um das Thema Geld. Häufig begegnet der Autor auch Klischees mit Bezug zu Verschwörungsdenken. Aber auch vermeintlich positive Merkmale wie der vermeintlich typische «jüdische Humor»» entlarvt er als Formen des Antisemitismus.

Zur Illustration der antisemischen Mechanismen las Passagen aus seinem Buch vor. Seine Hauptbotschaft: «Antisemitismus muss nicht gewalttätig sein, ist es sogar in den meisten Fällen nicht.» Doch wir seien alle geprägt durch Stereotype über Juden, sogar er wie er in einer Anekdote zu einem Geschäftsausverkauf schilderte. «Wir sind alle Antisemiten», so Meyers Schlussfolgerung.
Diese Feststellung gefällt allerdings nicht allen. «Wenn ich mich gegen antisemitische Bemerkungen wehrte, wurde ich oft als überempfindlich bezeichnet», erzählt Meyer. Daran seien schon Freundschaften zerbrochen. Auch ein Verlagswechsel sei dem Antisemitismus-Buch geschuldet. Sein Verleger wollte es nicht drucken. «Das wollen wohl nicht alle hören», sagt Meyer. Insgesamt plädiert er für mehr Demut im Umgang mit den eigenen Stereotypen. «Wir alle haben Vorurteile. Wichtig ist, dass man sich das eingesteht und an sich arbeitet.
Text: Miguel Garcia
Fotos: Ilja Sadkowsky